Nach dem Terroranschlag in Solingen häufen sich die Forderungen nach einer Verschärfung des Asylrechts. In der ZDF-Talkshow Markus Lanz fordert CDU-Politiker Spahn die Schließung der deutschen Grenzen für Geflüchtete. Bundeskanzler Scholz wirft er Zynismus vor.
Markus Lanz ist aus der Sommerpause zurück und befasst sich mit dem Thema, das gerade viele Menschen in Deutschland umtreibt: Wie können Anschläge wie jener in Solingen verhindert werden? Dort hatte am Freitag ein Syrer auf einem Stadtfest drei Menschen erstochen und acht weitere verletzt. Das Attentat heizt die Debatte um einer Verschärfung des Asylrechts weiter an. Talkshowgast und CDU-Politiker Jens Spahn etwa erneuert seine Forderung, die Grenzen für irreguläre Migration zu schließen.
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CDU-Parteichef Friedrich Merz hatte zuvor Bundeskanzler Olaf Scholz getroffen und vorgeschlagen, mit den Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten, um das Asylrecht zu verschärfen. Der Oppositionsführer brachte dabei die Erklärung einer "nationalen Notlage" ins Spiel, um EU-Recht auszuhebeln. Die Ampel sei zu einer Verschärfung jedoch nicht in der Lage, weil die Grünen nicht mitmachen würden, sagt Spahn bei Markus Lanz.
"Das Angebot ist, dass wir bereit sind, mit in Verantwortung zu gehen, dass es zu Entscheidungen kommt, die vor allem die Wurzel anpacken", versucht Jens Spahn das Ansinnen seines Parteichefs etwas umständlich zu erklären. Und die Wurzel sei die irreguläre Migration, führt Spahn weiter aus. "Ohne Kontrolle kommen immer mehr Menschen nach Deutschland, und wir wissen nicht wer, wie, wann, warum. Wir sind in den Schulen, in den Kitas, in den Städten jetzt schon über dem Limit dessen, was geht."
Spahn: Scholz "hat nicht zornig zu sein"
Nicht jeder Geflüchtete, der nach Deutschland komme, sei gewaltaffin, aber eine gewisse Zahl eben doch, so Spahn weiter. Deswegen müsse es endlich Entscheidungen geben, sagt Spahn: "Wenn der Bundeskanzler sagt, er ist zornig, dann finde ich das fast zynisch. Er hat nicht zornig zu sein, er hat Probleme zu lösen." Das Migrations- und Asylsystem in Deutschland sei dysfunktional, betont Spahn. "Es funktioniert nicht, und deswegen muss man es aus unserer Sicht auch aussetzen. Das hat Friedrich Merz ja auch klargemacht."
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Tatsächlich funktioniert das Asylsystem in vielen Punkten schlecht. Die Journalistin Anne Hähnig von der "Zeit" und der Rechtswissenschaftler Daniel Thym von der Universität Konstanz nennen als Beispiel die Rückführung abgelehnter Asylbewerber innerhalb Europas. Der Attentäter von Solingen hatte zunächst in Bulgarien Asyl beantragt. Der Antrag war genehmigt worden. Dann kam er nach Deutschland und stellte einen weiteren Asylantrag. Da dieser abgelehnt wurde, sollte er nach Bulgarien zurückgebracht werden. Bulgarien war bereit, ihn wieder aufzunehmen. Doch als die zuständigen Beamten von der Ausländerbehörde in Bielefeld an dem Wohnort des Syrers ankamen, war dieser nicht da. Die Beamten fuhren unverrichteter Dinge wieder ab. Normalerweise müssten in diesem Fall weitere Abholversuche unternommen werden.
Laut Gesetz muss ein abgelehnter Asylbewerber, der in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt hat, spätestens nach einem halben Jahr dorthin abgeschoben werden. Danach gilt das gewährte Asyl nicht mehr, und in diesem Fall war Deutschland für den Geflüchteten zuständig. Kein Einzelfall, sagt Anne Hähnig. Tatsächlich hätten im vergangenen Jahr knapp 75.000 abgelehnte Asylbewerber in ein europäisches Land ausreisen müssen. Nur 5.000 sind auch wirklich ausgereist.
"Das europäische System ist ein Irrsinn"
Weil das alles Gesetze regeln, die von der EU beschlossen worden sind, sagt Jens Spahn: "Das europäische System ist ein Irrsinn." Daraus zieht er den Schluss: "Wenn ein System nicht mehr funktioniert, und das tut es seit zehn Jahren nicht, dann können wir uns in Deutschland auch nicht so sklavisch daran binden, bis wir am Ende vollends die Sicherheit und die Kontrolle im Land verloren haben."
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Deutschland halte sich an das, was schwarz auf weiß auf dem Papier stehe, weil es von der EU so beschlossen worden sei, erklärt Thym. Aber er sagt auch: "Man hätte das verändern können." So sei im Juni eine europäische Asylreform beschlossen worden, die ab 2026 gelten soll. In dieser seien verschiedene Änderungen festgelegt worden. Doch die besagte Abschiebe-Regelung gehöre nicht dazu. Und das alles unter der Leitung einer EU-Präsidentin, die Mitglied der CDU sei, stellt Journalistin Hahnig fest. Für Rechtswissenschaftler Thym ist indes klar: Es gibt nicht die eine Lösung. Man muss an verschiedenen Stellschrauben drehen, von der deutschen Verfassung bis zu EU-Gesetzen. Das könne Jahre dauern, sagt er.
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Spahn dauert das zu lange: "Die EU ist immer noch ein Verbund nationaler, souveräner Staaten. Und am Ende des Tages muss das europäische Asylsystem auch in unserem Interesse funktionieren. Und wenn es nicht funktioniert, und das tut es nicht, dann lasse ich mir auch nicht andauernd EU-Recht vorhalten, das dysfunktional ist. Dann müssen wir zum Schutz unserer Bevölkerung, zur Aufrechterhaltung unserer Sicherheit, weil wir nicht wissen, wer ins Land kommt, zur Fähigkeit, diejenigen, die schon da sind, zu integrieren - dann müssen wir in einer Art Notlage sagen, wir setzen jetzt EU-Recht aus. An unserer Grenze geht es nicht mehr weiter."
Etwas später wird er noch konkreter: "Der Druck, von europäischer Seite an den Grundfesten zu arbeiten, wird erst entstehen, wenn Deutschland seine Grenzen schließt." "Zeit"-Journalistin Hähnig will es genau wissen und fragt: "Würden Sie das machen, wenn Sie den Kanzler stellen? Würden Sie dann die Grenzen schließen, um den Druck auf die europäischen Partner auszuüben?" Spahns Antwort: "Das wäre das, was ich meiner Partei empfehlen würde."